Städtisches

Die Natur vor der Haustür

Je reicher ein Wohnviertel, desto vielfältiger die Vogelwelt.

Zu diesem Ergebnis kamen verschiedene Studien über städtische Brutvögel. So gesehen darf Halle-Neustadt getrost zu den wohlhabenderen Gegenden gezählt werden. Denn hier ziehen überdurchschnittlich viele Vogelarten ihre Jungen groß. Was allerdings weder ein Zufall ist – noch ein Selbstläufer, wie sich beim tieferen Vordringen in das Neustädter Grün zeigt.

Wenn Egon Fuchs vom Ornithologischen Verein über Halle-Neustadts Vogelwelt erzählt, erntet er regelmäßig ungläubiges Staunen. „Hier brüten gegenwärtig etwa 80 Vogelarten“, berichtet der emeritierte Agrar-Professor, „und die Zahl wächst“. Zu den neueren Nachbarn gehören Schwarzmilane. Ein Pärchen der imposanten Beutegreifer zog bereits zum zweiten Mal auf einem Strommast unweit der Brücke über die B80 an der Feuerwache Junge groß.

Häufigster Brutvogel im Stadtteil ist die Mönchsgrasmücke. „Als ich 1970 nach Neustadt zog, gab es diesen Sänger mit der auffälligen ,Kappe‘ hier noch gar nicht“, blickt der Halle-Neustädter zurück: „Er gilt als Anzeiger für viel und abwechslungsreiches Grün“.

Dass das in Halle-Neustadt heute so üppig sprießt, ist kein Zufall. Wohl kaum jemand weiß das besser als Volker Reichardt. Als der Gartenbauingenieur 1974 aus Dessau nach Halle-Neustadt zog, dominierten noch Baugruben und Kräne die Stadt – vor allem nördlich der Magistrale.

Traum vom "Paradies"

„In den ersten beiden Wohnkomplexen um Gastronom und Treff zeigte sich aber damals schon wachsendes Grün“, erinnert sich der damalige Abteilungsleiter im VEB Grünanlagen. Die systematische Bepflanzung sei von Anfang an fester Bestandteil aller Planungen für die Neubaustadt gewesen, in die die Chemiearbeiter gemäß der Vision ihrer Gründerväter „nach der Schicht wie in ein ,Paradies‘“ heimkommen sollten. Dafür seien nicht nur die zumeist großzügig dimensionierten Freiflächen zwischen den Gebäuden von Grünflächenplanern, Gärtnern und auch Künstlern gestaltet worden, so der heute 74-Jährige: „Auch im grünen Gürtel um die Stadt – von den Saaleauen bis hin zur Heide – haben wir pro Jahr bis zu zehn Hektar aufgeforstet, um das Mikroklima in Neustadt positiv zu beeinflussen.“

Neben vielen Laub- und einigen Nadelhölzern seien insbesondere im I. und II. Wohnkomplex auch zahlreiche Obstbäume in die Erde gekommen. „Sie sollten nicht nur den Vitaminhaushalt, sondern auch die Verbundenheit der aus der ganzen Republik zugezogenen Bewohner mit ihrer neuen Heimatstadt stärken“, verweist Reichardt auf ein wichtiges Kalkül der Grünflächenplaner.

Stadtteil im Wandel

Die Vogelwelt Halle-Neustadts verändert sich mit dem Stadtteil dennoch, seit er existiert. „Ende der 1960-er Jahre war die Haubenlerche hier ein sehr häufiger Brutvogel“, nennt Egon Fuchs ein typisches Beispiel. „Sie liebt Ödland. Als Häuser und Grünanlagen diesen Landschaftstyp verdrängten, verschwand sie leider mit.“ Uferschwalben oder Flussregenpfeifer, die brach liegende Baugruben, Sand- und Kiesberge während der Aufbauphase für die Aufzucht ihrer Jungen nutzten, suche man heute hier ebenfalls vergebens.

„Doch unter dem Strich entdeckten mehr Brutvögel Halle-Neustadt neu als verdrängt wurden“, zieht der 79-Jährige nach fast fünf Jahrzehnten der Beobachtung eine positive Bilanz. So brüteten heute regelmäßig Turmfalken auf Balkonen. „Sie lieben die hohen Gebäude.“ Zu den Gewinnern in Neustadt zähle ebenfalls der Grünspecht. Anders als die meisten seiner Artgenossen suche er im Erdboden nach Ameisenhöhlen. Waldohreulen freuten sich über die inzwischen großgewachsenen Bäume im Stadtteil, wo sie alte Krähen- oder Elsternester für ihre Eiablage nutzten. Auch der größte Elstern-Schlafplatz weit und breit befindet sich Fuchs zufolge in Neustadt: „Auf jungen Bäumen am Kirchteich kommen zwischen Dezember und April bis zu 400 von ihnen aus allen Richtungen zusammen, um hier zu übernachten.“

Neulich, beim morgendlichen Joggen, hörte der 79-Jährige im Südpark sogar die Rufe eines Pirols. „Wer weiß“, sagt er, „vielleicht ist er der nächste Vogel, der Neustadt für seine Familienplanung entdeckt …“

Ratgeber

So helft ihr euren gefiederten Nachbarn

Mit den folgenden Tipps können auch Sie zur Vielfalt der Neustädter Vogelwelt beitragen:

  • Nistkästen lassen sich leicht selber bauen und dort anbringen, wo natürliche Höhlen fehlen. Tipps dazu findet ihr z. B. online unter www.nabu.de unter dem Thema „Vögel“.
  • Stellt an heißen Tagen flache Wasserschälchen als Vogeltränken zur Verfügung.
  • Lasst – zum Beispiel in Ihrem Garten – Blühstreifen ungemäht. Mit Blüten, Samen und Insekten bieten diese Areale Vögeln eine wichtige Nahrungsquelle und Verstecke.
     

Bleiben Sie immer informiert

Abonnieren Sie unseren Newsletter und verpassen Sie keine Neuigkeiten, Veranstaltungen und Aktionen.

Newsletteranmeldung